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Holunder-Küche

Fliederkreude: ein Heil- und Würzmittel aus Holunderbeeren

Daß früher der Holunder auch Flieder hieß, ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt. Missverständnisse sind da nicht ausgeschlossen, wenn z. B. von Fliederbeerensuppe die Rede ist, und eigentlich ein köstliches Mahl aus Holunderbeeren gemeint ist. Eine würzige Holunder-Rarität, die man im Nordosten Deutschlands kennt, und die hier eine lange Tradition hat, ist das Fliedermus bzw. die Fliederkreude. Sie besteht nur aus den vollreifen Beeren des schwarzen Holunders (Sambucus Nigra ). Stunden- manchmal tagelang wurde der ausgepresste Holundersaft vorsichtig in Kesseln über Feuer gekocht und dann im Wasserbad bis zur festen Konsistenz eingedickt.

Schon Anfang des 12. Jahrhunderts beschreibt Platearius - Arzt und Lehrer der berühmten medizinischen Universität von Salerno - die therapeutische Wirkung von Fliedermus, das er Succus Sambuci Inspissatus nannte. Unter "Musz" verstand man damals dick gesottene, zu Paste gekochte Säfte. Für Jahrhunderte gab es die Medizin aus Holunderbeeren, meist unter dem Namen Rob Sambuci in Apotheken zu kaufen. Rob ist eine alte arabische Bezeichnung für Dicksaft oder Mus. Ein Scrupel Fliedermus (entspricht 1,2 Gramm) kostete in Preußen 3 Pfennige

Aber erst die Hugenotten, die Friedrich Wilhelm im 17. Jahrhundert per Edikt in sein kurfürstliches Reich holte, machten aus der Medizin ein Kulinarium. Historisch nicht belegt, aber dennoch gut nachzuvollziehen ist, daß die 20.000 Glaubensflüchtlinge, die sich im brandenburg-preußischem Gebiet niederließen, den Speiseplan ihrer neuen Heimat mit französischer Finesse aufpeppten. Auf jeden Fall wurde das tiefrote Holundermus mit dem beerenstarken Aroma zum Rotweinersatz. Ähnlich dem italienischen Pesto verwendete man es zum Würzen von Soßen typischer Wild- und Fischgerichte. Holunderbeeren gab es kostenlos in der Natur. Darüber hinaus kannten französische Seeleute das Dauermus als sicheres Skorbut-Mittel, das auf den Reisen lange haltbar blieb. Entlang der Oder bis hin zur Ostseeküste wurde das Holundermus je nach Dialekt Fliederkreude, -krüde, -krüt oder Fleddermus genannt. Traditionelle Gerichte, bei denen die Einheimischen heute noch glänzende Augen bekommen, sind Aal in brauner Soße, Braungekochte Quappe und Karpfen mit Fliederkreude.

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Das Fernseh-Magazin MDR Spezial war dabei, als in der Wellener Dorfscheune Frieda Witt, Saarlinde Braune, Liesbeth Zgorzelski und Edelgard Haenschke zusammen mit Ursula Duchrow Karpfen mit Fliederkreude zubereiteten. Die Fische wurden vom Karpfenzüchter Matthias Bösche aus Hohenwarsleben gesponsert. Zum Tag der Regionen wurde im Holunder-Kontor Fliederkreude gekocht.

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