Holunder pur aus Feld und Flur
Anno domini 1631...
Am Felsenberg bei Dahlenwarsleben pflügte Palm Kleinau im
Frühjahr 1631 sein Feld.
Wie schon sein Vater und Urgroßvater war er Ackermann und
Müller zugleich.
Der Kleinau'sche Hof lag direkt am Eingang des Dorfes an der
Straße, die nach Hohenwarsleben führte.
Zum Gehöft gehörte eine Mühle, die gleich nebenan auf
einem kleinen Hügel stand.
Es war ein herrlicher Morgen, wenngleich die Zeiten sehr unsicher
waren.
Plündernde Söldnerbanden zogen durchs Land. Sie raubten
alles, was ihnen unter die Finger kam.
Man musste stets auf der Hut sein.
Im Moment störte es Palm wenig. Vor ein paar Tagen hatte er
geheiratet und war bis über beide Ohren verliebt.
Er genoss die herrliche Aussicht auf die Stadt Magdeburg. Immer wieder
sah er von seiner Arbeit auf. Die Türme des Domes schienen
zum Greifen nahe. An das tägliche Grollen der Geschütze hatte
er sich gewöhnt. Seit Wochen lagerte ein riesiges
Heer kaiserlicher Truppen vor der Stadt, jederzeit bereit, sie
einzunehmen.
Palm schmunzelte, was auch immer passieren sollte, dem Feind würde
der wirkliche Schatz nicht in die Hände fallen.
Das hatten sich die Männer geschworen. Nicht alle kannte Palm
persönlich, die nachts zum heimlichen Treffen in die
Irxleber Kirche kamen. Pfarrer Simon Wrock hatte sie eilig zusammengerufen,
Christoph Krull aus Eichenbarleben,
Samuel Walter aus Hohenwarsleben, Kaspar Stellmacher aus Barleben,
Andreas Burghart aus Schackensleben,
Valentin Griesemann aus Niederndodeleben, Simon Gebler aus Ebendorf,
Hartwig Truckenbrodt aus Gutenswegen, Johann Bismark aus Klein
Ammensleben, Jakob Cunow aus Hermsdorf,
Hironymus Besecke aus Schnarsleben, Bartholomäus Schneidewind aus
Mammendorf, Andreas Dorendorf aus Santersleben
und Theodor Berghauer aus Olvenstedt. Alle waren sich einig: die
wertvollen Urkunden, Münzen, goldenen Altarleuchter
und Abendmahlkelche sollten vergraben werden. Die eiserne Truhe wurde
auf dem Kirchhof unter dem uralten,
knorrigen Holunderstrauch fünf Fuß tief in die Erde
versenkt.
Lauter Kanonendonner riss Palm aus den Gedanken. Der Lärm war
ohrenbetäubend, unaufhörlich wurde geschossen.
Schwarzer Pulverdampf stieg aus allen Richtungen der Stadt Magdeburg auf, vom
Norden in der Neustadt, im Osten am Werder
und in der Sudenburg. Es gab keinen Zweifel mehr, Magdeburg wurde mit
Macht gestürmt. Hastig spannte Palm sein Pferd aus und ritt im
rasenden Galopp zum Kreuzberg, vorbei an feindlichen
Landsknechtstruppen, die zwischen Olvenstedt und Schnarsleben
marschierten. Auf der Höhe angekommen,
konnte er leicht bis zur Elbe sehen. Er traute seinen Augen nicht.
Dieses grausige Bild würde er niemals vergessen.
Die stolze, wunderschöne Stadt stand in Flammen. Unfähig
einen klaren Gedanken zu fassen, gab er seinem Pferd die Sporen.
Angst packte ihn. Er wollte nur noch nach Hause.
Schon weit vor dem Dorf kam ihm eine Magd verstört entgegengelaufen.
Ihre Kleider hingen zerfetzt am Körper
und ihr Blick ging ins Leere. Auf der Straße lagen erschlagene
Menschen. Palm sprang vom Pferd und rannte wie besessen
in den Stall. Sein Vater lag schwer verletzt im Stroh. Bei dem Versuch,
die Pferde vor den Plünderern zu retten,
hatte ein Säbel seinen Kopf schwer getroffen. Er blutete stark und
der alte Großknecht kümmerte sich liebevoll
um ihn. Mit einem frisch zubereiteten Balsam aus Fett und der sorgsam
abgeschabten grünen Rinde von den frischen
Trieben des Keitschbaumes (Holunderbaum) versorgte er die klaffende
Wunde.
Erst jetzt begriff Palm, "warum die Männer ihre Mützen
abnahmen und die Frauen einen Knicks machten,
wenn sie an einem Holunderbaum vorüber gingen. Denn an ihm ist
alles gut und heilsam. Der Holunder,
das ist ein Baum, wie ihn unser Herrgott in seiner Weisheit nur einmal
für uns notleidenden Menschenkinder
geschaffen hat. Seine Blüten geben einen Tee, der wider allerlei
Gebrechen wirkt, seine Beeren reinigen
das alte Blut und nun sah er, dass die Rinde seinen Vater vom Tode
errettete."
( Nacherzählt aus "Palm Kleinau" - Börderoman von August Uhle
)